Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit - in den 70er Jahren waren dies die bildungspolitischen Ziele schlechthin. Nachdem sie eine Zeit lang in Vergessenheit geraten waren, kommen sie jetzt wieder ins Gespräch. Die Stichworte sind: Lebenslanges Lernen und Neue Medien. Die rasante Zunahme von Wissen und Informationen und die verkürzte Halbwertzeit von Wissen verlangen von den Menschen die Bereitschaft, kontinuierlich zu lernen, sich weiterzubilden. Doch nicht alle kommen mit diesen Anforderungen zurecht. Sie verfügen entweder nicht über die richtigen Ausgangspositionen – beispielsweise haben sie nicht das richtige Geschlecht oder die richtige Nationalität, oder aber sie finden aufgrund eines fehlenden Arbeitsplatzes keinen Zugang zu betrieblichen Weiterbildungsangeboten. Kurz, sie sind benachteiligt. Wie aber wirkt sich eine Benachteiligung im Bildungsbereich aus? Welche Personengruppen können als benachteiligt gesehen werden? Wie hängen Benachteiligung und Weiterbildung zusammen? Und welche erfolgreichen Maßnahmen gegen Benachteiligung gibt es? Diesen Fragen ist das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung (DIE) im Auftrag des Bildungsministeriums in seinem Projekt „Benachteiligte in der Weiterbildung“ nachgegangen; es hat die notwendigen Daten zusammengetragen und die komplexen Zusammenhänge der Bildungsbenachteiligung erforscht.

Der Begriff der ‚Benachteiligten’ wird in vielen Zusammensetzungen verwendet: bildungsbenachteiligt, sozial benachteiligt, beruflich benachteiligt, markt-benachteiligt. Wer bildungsbenachteiligt ist, ist in der Regel auch beruflich benachteiligt. Und wer beruflich benachteiligt ist, läuft eher Gefahr, auch sozial benachteiligt zu sein. Eine Benachteiligung im Bildungsbereich zieht also sehr schnell eine Benachteiligung in anderen Bereichen nach sich. Wer bildungsbenachteiligt ist, nimmt auch im weiteren Lebens- und Berufsverlauf seltener an allgemeiner wie beruflicher Weiterbildung teil – die Spirale der Bildungsbenachteiligung setzt sich also fort. Aber nicht jeder, der beruflich benachteiligt ist, muss auch bildungsbenachteiligt sein. Beispiel Frauen: Ihre Bildungsbeteiligung im Schulsystem ist gestiegen. Sie haben mittlerweile die besseren schulischen Abschlüsse und weniger Abbrüche in Schule und Ausbildung. Beim Zugang zur Ausbildung und zum Erwerbsleben, hier insbesondere zu beruflichen Weiterbildungsangeboten, aber sind sie unterrepräsentiert – und damit dennoch wieder benachteiligt. Ursachen der Benachteiligung Es gibt viele Ursachen für Benachteiligung. Weit verbreitet ist die Ansicht, dass subjektive Faktoren wie Bildungsbiografie und Verwertungsinteresse ausschlaggebend sind. Dies ist aber so nicht haltbar. Vielmehr sind es sozio-demografische Umstände und die organisatorische Struktur der Weiterbildungsangebote, die Zugangsmöglichkeiten zu und die Kosten für Weiterbildung und auch die gesetzlichen Grundlagen der Weiterbildung, die wesentlich zum Entstehen von Benachteiligung beitragen. Einige Faktoren aber führen in besonderem Maße zu sozialer Benachteiligung: der fehlende Schul- und Berufsabschluss, die Langzeitarbeitslosigkeit, der soziale und berufliche Status sowie das Geschlecht und die Nationalität gehören eindeutig dazu. Ein Faktor allein führt jedoch noch nicht zu sozialer Benachteiligung. In der Regel ist es die Kombination verschiedener Ursachen. Wer keinen Schulabschluss hat, findet sich schnell in un- und angelernten Tätigkeiten wieder, bei denen die Arbeitsplatzsicherheit prekär ist. Längere Zeiten von Erwerbslosigkeit führen zu ökonomischen Einschränkungen und sozialen Verlusten, die auch den kulturellen und sozialen Spielraum begrenzen. Soziale Isolation oder Rückzug in Randgruppen oder Subkultur sind die Folge. Benachteiligung – nicht nur ein bildungspolitisches Problem Benachteiligung muss also vor dem gesamtgesellschaftlichen Hintergrund betrachtet werden. Ihre arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Aspekte müssen genauso einbezogen werden wie ihre wirtschafts- und bildungspolitischen Gesichtspunkte. Weiterbildung ist nur ein Weg unter vielen, um sozialer Benachteiligung entgegen zu wirken. Ihr den alleinigen Lösungsansatz zuzuschreiben, hieße ihre Möglichkeiten zu überschätzen. Dennoch sind Bildung und Weiterbildung unabdingbare Eintrittskarten für gesellschaftliche Teilhabe – aber sie garantieren sie bei weitem nicht. Negatives Beispiel, die Qualifizierungsoffensive Ost. Ihr Ziel war es, arbeitslose Ostdeutsche in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Die erwarteten Resultate zeitigte sie nicht. Aus zwei Gründen: Zum einen wurden die Menschen in die falsche Richtung (einfache Tätigkeiten) qualifiziert, zum anderen stand der großen Nachfrage nach Arbeitsplätzen kein entsprechendes Angebot gegenüber. Annahme und Hoffnung, dass strukturelle Probleme des Arbeitsmarktes durch Weiterbildung gelöst werden könnten, erwiesen sich damit als falsch. Mangelndes Zusammenspiel der beteiligten Akteure In den letzten 20 Jahren gab es eine Vielzahl von Modellversuchen und Förderprogrammen, deren Ziel insbesondere die Integration in den Arbeitsmarkt war. Für den einzelnen mögen sie erfolgreich gewesen sein, aber der Benachteiligung als solche haben sie nicht wesentlich entgegen wirken können. Positive Erfahrungen aus den Projekten wurden zu selten in die Weiterbildungspraxis übernommen, sie haben auch kaum Eingang in die gesetzlichen Bestimmungen gefunden. Auf allen Ebenen fehlt es an der Kooperation und Vernetzung der beteiligten Akteure, darauf wird auch in Experteninterviews des öfteren verwiesen. Gerade in der politischen Administration auf Bundes – und auf Länderebene scheinen die Denk- und Vorgehensweisen wie die Interessenslagen so unterschiedlich zu sein, dass eine Zusammenarbeit oder auch nur ein Austausch schwer zu erreichen ist. Benachteiligungen wird es auch in Zukunft geben Auch künftig wird es Personengruppen mit Benachteiligungen geben. Menschen, die keinen Zugang zu den neuen Medien erhalten – weil sie keine Möglichkeiten haben sich weiterzubilden, oder weil sie für sich keinen Zugang dazu finden. Möglicherweise werden auch diejenigen ausgegrenzt werden, die nicht in die vielfältigen Förderprogrammen der beruflichen Bildung einbezogen werden können, sei es, dass sie die Teilnahme-Kriterien nicht erfüllen oder der Arbeitgeber eine Weiterbildung nicht unterstützt, die sie selbst nicht bezahlen können. Auch hier sind Bildungspolitik, Arbeitsmarktpolitik und Sozialpolitik gefordert, Konzepte zu erstellen, die tatsächlich präventiv greifen und nicht erst dann ansetzen, wenn das „Kind bereits in den Brunnen gefallen ist“. Im Rahmen des DIE-Projektes werden auch dazu Handlungsempfehlungen entwickelt. Es ist dann Aufgabe der Politik, diese umzusetzen, um dem Ziel von Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit ein Stück näher zu kommen.

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