Am 22. Oktober 2022 starb Horst Siebert, langjähriger Professor für Erwachsenenbildung an der Universität Hannover. Er wurde am 8. Juli 1939 in Iserlohn geboren und studierte nach dem Abitur Literaturwissenschaft, Altphilologie und Philosophie an den Universitäten Kiel und München. 1965 promovierte er in Kiel mit einer literaturwissenschaftlichen, philosophisch inspirierten Arbeit, die den Einfluss von Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Karl Wilhelm Ferdinand Solger auf das Werk des Dramatikers und Lyrikers Friedrich Hebbel in der Endphase des deutschen Idealismus untersuchte. Sieberts Weg aus der Literaturwissenschaft in die Erwachsenenbildung war kurz: 1965 übernahm er eine Assistententätigkeit beim Landesverband der Volkshochschulen in Nordrhein-Westfalen. Ein sechswöchiges Seminar der Pädagogischen Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschul-Verbandes, geleitet von Hans Tietgens, wurde für Siebert, wie er später schrieb, zu einem „Bildungserlebnis“: Erstmals sei ihm in der Auseinandersetzung mit der Volksbildung der Weimarer Zeit der Unterschied zwischen einer Popularisierung von Wissenschaft und einer teilnehmerorientierten Erwachsenenbildung deutlich geworden.

1966 nahm er ein Angebot von Joachim H. Knoll auf eine Assistenzstelle am Institut für Pädagogik der neu gegründeten Ruhr-Universität in Bochum an. Bereits drei Jahre später habilitierte er sich mit einer Arbeit über die „Erwachsenenbildung in der Erziehungsgesellschaft der DDR“. Es handelte sich um die erste Habilitation in der Geschichte der bundesdeutschen Erwachsenenbildung. Sie entstand in einem international-vergleichend ausgerichteten Umfeld, das von Oskar Anweiler und Joachim H. Knoll u.a. mit der Herausgabe des „Internationalen Jahrbuchs der Erwachsenenbildung“ geprägt war. Diese Schrift war wegweisend und streitbar – und das gleich in mehrfacher Hinsicht: weil ein deutsch-deutscher Vergleich als Beitrag zur international-vergleichenden Forschung erschien; weil der Erziehungsbegriff für die Erwachsenenbildung reklamiert wurde, zwar kritisch gegenüber den Zielen der Bildungspolitik der DDR, zugleich aber die systembildenden Ambitionen anerkennend; weil die Arbeit eines Westdeutschen über das ostdeutsche Bildungssystem als anmaßend gelten konnte.

1967 war Siebert an dem von Joachim H. Knoll initiierten „Bochumer Plan als Beitrag zum Dritten Bildungsweg“ beteiligt, der Erwachsenen eine staatlich anerkannte „mittlere Reife“ eröffnen sollte, nicht aufgrund eines schulischen Fächerkanons, sondern auf der Basis einer teilnehmerorientierten Themenwahl.

1970 wechselte Siebert nach Hannover an die Pädagogische Hochschule, die 1977 in die Universität eingegliedert wurde, und etablierte umgehend einen Diplomstudiengang „Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Erwachsenenbildung“. Siebert blieb seiner Universität bis zum Eintritt in den Ruhestand 2007 treu, begleitet von Lehraufträgen und Honorarprofessuren an internationalen Universitäten. Der fünfte Stock in der Bismarckstraße, wo die Erwachsenenbildung über viele Jahre eher untergebracht war als dass sie residierte, weckt bei vielen seiner Studierenden noch heute wehmütige Erinnerungen an einen Genius Loci, der geprägt war durch eine engagierte Reflexion über die Möglichkeiten einer an Aufklärung und Emanzipation orientierten Erwachsenenbildung und geprägt durch Offenheit und eine gleichberechtigte Diskussionskultur. In Hannover pflegte Siebert auch engen Kontakt mit Willy Strzelewicz, dem ersten Leiter der Pädagogischen Arbeitsstelle des Deutschen Volkshochschul-Verbandes, der 1960 auf eine Professur für Soziologie an die Pädagogische Hochschule gewechselt war.

Horst Siebert hinterlässt ein überaus umfangreiches und vielbeachtetes Gesamtwerk, das herausragend ist in der Geschichte der Erwachsenenbildung Deutschlands und des deutschsprachigen Auslands. Dies zeigt sich auch an den sechs Bänden, die er in der von Hans Tietgens geprägten Reihe „Theorie und Praxis der Erwachsenenbildung“ (mit)verantwortete. Sein wissenschaftliches Werk, das zur Disziplinbildung beitrug und zugleich Praxis und Politik der öffentlich anerkannten Erwachsenenbildung unterstützte, war thematisch und methodisch breit angelegt. Neben der Habilitationsschrift ist vor allem die gemeinsam mit Herbert Gerl verfasste Studie zum Lehren und Lernen von großer Bedeutung, weil sie wesentlich zur empirischen Profilierung der noch jungen Disziplin beitrug. Erwähnung verdient zudem der Band „Curricula für die Erwachsenenbildung“, mit der Siebert die Arbeiten von Saul B. Robinsohn für den vierten Bildungsbereich erschloss. Die Curriculumforschung definierte Bildung als Ausstattung zum Verhalten in der Welt. Horst Siebert erkannte in einer solchen „Bildung vom Menschen aus“ Parallelen zur neuen Richtung der Weimarer Erwachsenenbildung, die nun allerdings empirisch fundiert und nicht primär idealistisch motiviert war. Sein Lehrbuch zur Didaktik der Erwachsenenbildung erschien in gleich mehreren Auflagen. Seit den 1990er Jahren waren es insbesondere (bildungs-)theoretische Arbeiten zum pädagogischen Konstruktivismus, im Dialog mit Rolf Arnold verfasst, die in Wissenschaft und Praxis große Aufmerksamkeit fanden.

Die Disziplinbildung der Erwachsenenbildung hat Horst Siebert darüber hinaus gemeinsam mit Johannes Weinberg entscheidend gefördert, indem beide gemeinsam 1978 den „Literatur- und Forschungsreport Weiterbildung“ gründeten, die heutige „Zeitschrift für Weiterbildungsforschung“. Der „Report“ erschien zu Beginn ganz unscheinbar, die Beiträge waren mit der Schreibmaschine getippt, wurden handschriftlich korrigiert und drucktechnisch anspruchslos verbreitet, was ihrer Resonanz aber keinen Abbruch tat. Praxis und Politik der (wissenschaftlichen) Erwachsenenbildung hat Horst Siebert durch seine Mitarbeit in zahlreichen Beiräten, Ausschüssen und Kuratorien unterstützt, in die er aber wohl – bildungs-, wissenschafts- und institutspolitisch zumeist zurückhaltend – häufiger eingeladen wurde als dass er sich hineingedrängt hätte.

Als Mensch war Horst Siebert überaus bescheiden, als Kollege unbedingt verlässlich; er legte Wert darauf, Freundschaften zu pflegen und war ein selbstloser Förderer seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Er stellte sich selbst nie in den Vordergrund, hörte lieber zu als vom Katheder zu belehren, liebte es, in seiner Studierstube zu lesen und zu schreiben. Er strahlte eine große Ruhe und Gelassenheit aus, konnte aber auch unwillig werden, wenn ihm Diskussionen unergiebig oder spitzfindig erschienen. Horst Siebert war ein engagierter Wissenschaftler und Forscher, der seine wissenschaftliche Arbeit, ja sein Leben der Erwachsenenbildung widmete. Die Arbeit der PAS und des DIE hat er immer unterstützt. Wir werden uns seiner anerkennend und dankbar erinnern.

Josef Schrader

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