„Wenn bei der Zusammensetzung der Kurse bisher vor allem darauf gesehen wurde, dass Gegenstände allgemeineren Interesses in wissenschaftlicher Weise behandelt wurden, um die Denkfähigkeit der Hörer durch Beispiele in der einen oder der anderen Richtung zu schärfen, so wird dieser Zug nach der allgemeinen Bildung, nach einer Erweiterung und Vertiefung des allgemeinen Wissens und Denkens, das die allgemeine Volkshochschule vermittelt, wohl auch künftig der Mittelpunkt der Entwicklung bleiben. Es ist aber andererseits natürlich, dass, wie sich auch durch die Statistik herausgestellt hat, von den einzelnen vielfach diejenigen theoretischen Kurse bevorzugt werden, welche ihnen als Ergänzung ihrer praktischen Thätigkeit erscheinen, von den Photographen Chemie, von den Monteuren Elektrotechnik, von Zeichnern und Bildhauern Kunstgeschichte u.s.w.“ (L.M. Hartmann (1900): Zur Ausgestaltung der volkstümlichen Universitätskurse; in: Filla/Judy/Knittler-Lux (1992), S.172)

„Denkfähigkeit“ als wissenschaftlich begründete Urteilsfähigkeit ist das eine, was für Ludo Moritz Hartmann (1865-1924) zentral für das Konzept der Volksbildung ist. Das andere ist die Integration allgemeiner und beruflicher Weiterbildung. In gewisser Weise nimmt er damit konzeptionell vieles von dem vorweg, was dann erst mit der „realistischen Wende“ in der Erwachsenenbildung Anfang der 1960er Jahre für die Volkshochschulen prägend wird. Er trat auch, wie der Bezug auf die Teilnehmer-Statistik zeigt, für die empirische Erforschung der Erwachsenenbildung ein.

L.M. Hartmann wurde Leiter der universitären Volksbildungskommission und gründete ab 1900 fünf Volkshochschulen in Wien. In besonderer Weise engagierte er sich – gemeinsam mit Emil Reich – für das Volksheim Ottakring.

L.M. Hartmann formulierte auch den für die Wiener Volkshochschulen prägenden Bildungsanspruch:

„Wir wollen ferne bleiben aller und jeder Politik, nicht aus irgendwelchen Rücksichten der Opportunität, sondern weil wir der Ansicht sind, dass die Politik nicht in die Schule und auch nicht in die Volksbildungsbestrebungen gehöre. Denn die Politik ist Sache der Parteien und der Zweck unserer Bestrebungen soll nur die Verbreitung von Bildung und Wissen sein.“ (Hartmann, zitiert nach Petrasch 2007, 33)

Er organisierte zudem die Salzburger Hochschulwochen des Vereins für Abhaltung von wissenschaftlichen Lehrkursen für Frauen und Mädchen, später die Frauenhochschule Athenäum.

Nach W. Filla lassen sich in L. M. Hartmanns Engagement für die Volksbildung sechs Tätigkeitsbereiche unterscheiden:

  1. Seine Mitarbeit am Wiener Volksbildungsverein
  2. Seine Arbeit für die volkstümlichen Universitätskurse
  3. Die Mitwirkung am Frauenbildungsverein Athäneum
  4. Seine führende Stellung im Volksheim
  5. Die Auftritte bei Volkshochschultagen
  6. Die Impulssetzung und Initiativen für eine sozialwissenschaftliche Fundierung der Volksbildung. (Filla 1992, 67/68)

Er war als Lehrender, Publizist und Funktionär für die Volksbildung aktiv.

W. Filla, einer der profundesten Kenner von L.M. Hartmann, kennzeichnet seinen Stellenwert für die Geschichte der österreichischen Erwachsenenbildung wie folgt:

„Der an der Wiener Universität tätige Historiker ist einer der bedeutendsten Persönlichkeiten reichen Geschichte der Erwachsenenbildung in Österreich, die wohl herausragende „Figur“ mit einem – aus heutiger Sicht – kam nachvollziehbaren ehrenamtlichen Tätigkeitsspektrum.“ (Filla 2014, 54)

Seit 1987 verleiht der Verband Österreichischer Volkshochschulen den Ludo-Hartmann-Preis für herausragende Arbeiten im Interesse der österreichischen Volksbildung.

Archive:

Haus-, Hof- und Staatsarchiv Wien: Nachlass L.M. Hartmann

Archiv der Volkshochschule Ottakring, Wien

Literatur:

Altenhuber, Hans (1995): Universitäre Volksbildung in Österreich 1895-1937. Wien

Faulstich, Peter (2008): Volksbildung: Ludo Moritz Hartmann: in: ders.: Vermittler wissenschaftlichen Wissens. Biographien von Pionieren öffentlicher Wissenschaft. Bielefeld. S.163-166

Filla, Werner (1987): Zwischen Arbeiterbewegung und Bürgertum. Die Wiener Volkshochschulen in der Monarchie und der Ersten Republik; in: Knittler-Lux, Ursula (Hg.): Bildung bewegt. 100 Jahre Wiener Volksbildung. Wien

Filla, Werner/Judy, Michaela/Knittler-Lux, Ursula (Hg.) (1992): Aufklärer und Organisator. der Wissenschaftler, Volksbildner und Politiker Ludo Moritz Hartmann. Verband Wiener Volksbildung, Picus-Verlag, Wien 1992 (enthält auch Fotos, Aufsätze, Programme)

Filla, Wilhelm (2007): "Das Volkshochschulwesen" (1910) von Ludo Moritz Hartmann; in: Koerrenz, Ralf, u.a.(Hg.): Wegweisende Werke zur Erwachsenenbildung. Jena, S. 217-227

Filla, Wilhelm (2014):Von der freien zur integrierten Erwachsenenbildung. Zugänge zur Geschichte der Erwachsenenbildung in Österreich. Ein Studienbuch. Frankfurt a.M.; darin insbesondere der Begriff der Fachgruppe

Herholt, Volker (1999): Ludo Moritz Hartmann. Alte Geschichte zwischen Darwin, Marx und Mommsen. Berlin

Internetquellen:

Biografie unter: http://de.wikipedia.org/wiki/Ludo_Moritz_Hartmann

Biografie unter: https://www.wien.gv.at/wiki/index.php/Ludo_Moritz_Hartmann

 

 

Kurzlink zu dieser Seite:
die-bonn.de/li/554

Klaus Heuer