Am 23. Juni 2022 wurde der nationale Bildungsbericht „Bildung in Deutschland 2022“ veröffentlicht. Alle zwei Jahre informiert er über Entwicklungen in sämtlichen Bildungsbereichen – von der frühkindlichen Bildung bis hin zur Weiterbildung.

Das diesjährige Schwerpunktkapitel widmet sich dem Bildungspersonal und dessen Struktur, Entwicklung, Qualität und Professionalisierung – und bietet erstmals eine Diskussionsgrundlage für einen übergreifenden Vergleich der pädagogisch Tätigen im gesamten Bildungssystem. Weiterhin liefert der Bericht Befunde zur Entwicklung des Bildungssystems in der Corona-Pandemie.

Erneut ist der Bildungsbericht unter Mitwirkung von DIE-Direktor Prof. Dr. Josef Schrader in der Gruppe der Autorinnen und Autoren entstanden. Von der Expertise des DIE profitiert insbesondere das Kapitel „Weiterbildung und Lernen im Erwachsenenalter“. Es wurde für den Vorgänger-Bericht „Bildung in Deutschland 2020“ neu konzipiert und trägt mit seinen vier aufeinander aufbauenden Indikatoren der Vielfalt des vierten Bildungsbereichs Rechnung.

Zentrale Ergebnisse für die Erwachsenen- und Weiterbildung:

Das Weiterbildungsangebot wird digitaler

Die Corona-Pandemie hat das digitale Angebot, aber auch die Beteiligung an digitalen Formaten nochmals deutlich verstärkt. Dies liegt zum einen daran, dass Anbieter während der Corona-Pandemie dazu gezwungen waren, ihr Angebot kurzfristig umzustellen. Andererseits sind mit digitalen Angeboten viele Vorteile verbunden, die künftig insbesondere auf dem Arbeitsmarkt von größerer Bedeutung sein dürften: zeitliche und örtliche Flexibilität, bessere Einbindung in individuelle Arbeitsabläufe und mobiles Arbeiten oder die Stärkung digitaler Kompetenzen. Kürzere und digitale Formate sind gefragter als in den Vorjahren. Etwa jede vierte Veranstaltung (24 %) wurde 2020 überwiegend oder vollständig online durchgeführt. Zwischen verschiedenen Anbietern von Weiterbildung bestehen jedoch deutliche Unterschiede: Während an (Fach-) Hochschulen knapp jede dritte Veranstaltung rein online durchgeführt wurde, waren es an Volkshochschulen nur 3 Prozent. Seit 2015 hat sich die Beteiligung am Online-Lernen unter der Erwerbsbevölkerung verdoppelt. Grenzen der Digitalisierung in der Weiterbildung liegen insbesondere in der Verfügbarkeit digitaler Endgeräte und Infrastruktur sowie bei den Medienkompetenzen von Lehrenden und Lernenden.

Gestiegenes bildungspolitisches Interesse an der beruflichen Weiterbildung

Deutlich erkennbar ist das bildungspolitische Interesse an der Weiterbildung, etwa im Rahmen der „Nationalen Weiterbildungsstrategie“ (NWS) seit 2019 oder bereits seit 2016 durch die „Nationale Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung“ (AlphaDekade). Mit dem „Qualifizierungschancengesetz“ und dem „Arbeit-von-morgen-Gesetz“ wurde die berufliche Weiterbildung rechtlich gestärkt. Die Qualifizierung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, deren Tätigkeit durch den Technologie- und Strukturwandel bedroht wird oder von einem Engpass betroffen ist, ist damit gesetzlich verankert. Mit der Fort- und Weiterqualifizierung des Weiterbildungspersonals wird im Rahmen der NWS ein weiteres wichtiges Handlungsfeld angesprochen; die Stärkung der digitalen Infrastruktur steht bislang allerding noch aus. So konnten in Teilbereichen der Weiterbildung (bspw. in Integrationskursen) Veranstaltungen während der Corona-Pandemie teilweise nicht digital umgesetzt werden, weil digitale Endgeräte für die Lernenden gefehlt haben.

Beteiligung an Weiterbildung bleibt hoch – trotz deutlicher Einbrüche während der Corona-Pandemie

Zu Beginn der Corona-Pandemie ist das Weiterbildungsangebot anbieterübergreifend eingebrochen: Unternehmen schränkten ihre Weiterbildungsaktivität ein, Volkshochschulen mussten einen großen Anteil ihrer geplanten Veranstaltungen absagen oder aber zumindest verschieben und Integrationskurse konnten zeitweise gar nicht durchgeführt werden. Dennoch blieb die Weiterbildungsbeteiligung im Jahr 2020 hoch: Unter den 18- bis 69-Jährigen bildeten sich 57 Prozent non-formal und sogar 69 Prozent informell weiter. Das ist die höchste bislang gemessene Beteiligung an informellem Lernen. Der Bedarf an Weiterbildung blieb ungebremst: einerseits kurzfristig, um im Home-Office digitale Kommunikationstools nutzen zu können, andererseits langfristig, um mit den allgemeinen technologischen Entwicklungen sowie dem Strukturwandel Schritt halten zu können.

Die Teilnahmechancen sind für Erwachsene weiterhin ungleich verteilt

Betriebe sind weiterhin der größte Anbieter von Weiterbildung – gemessen an der Anzahl der Aktivitäten und dem Volumen. Dennoch haben nicht alle Beschäftigten die gleichen Chancen, an Weiterbildung teilzunehmen. Beschäftigte in Teilzeit und mit geringerem Tätigkeitsumfang sowie Beschäftigte in kleinen und mittleren Unternehmen erhalten mit geringerer Wahrscheinlichkeit Weiterbildung durch ihren Arbeitgeber als Beschäftigte in Großunternehmen. Gravierende Unterschiede in der betrieblichen Weiterbildungsaktivität bestehen auch für Beschäftigte in unterschiedlichen Branchen: Das betrifft z.B. die Weiterbildungsaktivität von Betrieben in den Branchen „Erziehung und Unterricht“ sowie „Öffentliche Verwaltung“ (je 64 %) einerseits und „Beherbergung und Gastronomie“ (10 %) oder „Nahrung und Genuss“ (18 %) andererseits.

Auf individueller Ebene zeigt sich: Personen mit hohem Bildungsgrad bilden sich deutlich häufiger non-formal weiter (69 %) als Personen mit geringem Bildungsgrad (41 %). Betrachtet man den Migrationshintergrund, sind es hauptsächlich Personen mit eigener Migrationserfahrung – also Personen, die nicht in Deutschland geboren wurden –, die in ihren Weiterbildungsmöglichkeiten eingeschränkt sind. An den bestehenden sozialen Unterschieden vermögen auch digitale Formate nichts zu ändern. Hier zeigen sich vielmehr vergleichbare soziale Ungleichheiten.

Regionale Ungleichheiten müssen trotz zunehmender Digitalisierung in den Blick genommen werden

Sowohl Daten eines Katasters von Weiterbildungsanbietern in Deutschland (DIE-Weiterbildungskataster) als auch der Volkshochschul-Statistik machen darauf aufmerksam, dass zwischen den Regionen in Deutschland große Unterschiede im Zugang zu Weiterbildung bestehen. Die Unterschiede hängen einerseits mit soziodemografischen und ökonomischen Strukturen zusammen, sind andererseits auf historische Differenzen zwischen Ost- und Westdeutschland zurückzuführen – im Fall der Volkshochschulen. Dass der lokale Zugang zu Weiterbildung für gleiche Beteiligungschancen weiterhin ausschlaggebend ist, zeigen u. a. Analysen des Online-Lernverhaltens unter der Erwerbsbevölkerung. Denn sowohl Personen mit geringerem Bildungsniveau als auch Personen, die in ländlichen Gebieten leben, nutzen das Internet bislang deutlich seltener für Lernaktivitäten. Der Bildungsbereich steht langfristig vor der Herausforderung, sowohl regionale und kommunale Bildungslandschaften als auch überregionale (digitale) Lernwelten aufeinander abzustimmen.

Sprachbildung ist ausschlaggebend für die Integration von Migrantinnen und Migranten sowie Geflüchteten

Ein zentrales Instrument zur Förderung der Integration von Migrant/inn/en und Geflüchteten sind Integrationskurse, die sowohl die deutsche Sprache als auch Geschichte, Recht, Kultur und grundlegende Werte vermitteln sollen. Die Zielerreichung wird über zwei Tests kontrolliert: über einen Sprachtest auf B1-Sprachniveau und den Test „Leben in Deutschland“. Seit 2015 schließen immer weniger Teilnehmende am allgemeinen Integrationskurs sowie am Alphabetisierungskurs mit B1-Niveau ab. Gründe dafür sind u. a. begrenzte Lernvoraussetzungen, die teils auf traumatischen Kriegs- und Flucht-Erfahrungen zurückgehen. Aber nicht nur Integrationskurse spielen für Migrantinnen und Migranten bei der Ankunft in Deutschland eine große Rolle. Für den Spracherwerb sind auch der Austausch zu anderen Familien, kulturelle Aktivitäten sowie eine Erwerbstätigkeit von zentraler Bedeutung. Mit niedrigschwelligen Angeboten, die im Lebensalltag der Lernenden ansetzen, können auch Personen erreicht werden, die aufgrund von zeitlichen Konflikten mit Kinderbetreuung bislang nicht an formalen Kursangeboten teilnehmen.

Über den nationalen Bildungsbericht: Zielgruppen, Inhalte, Aktualität

Politik, Praxis oder interessierte Öffentlichkeit – an wen richtet sich der nationale Bildungsbericht?“

Die Zielgruppe des Berichts ist breit: Bildungspolitik, Bildungs-Administration und Öffentlichkeit. Auf den 28 Seiten des Kapitels zur Weiterbildung werden ausgewählte Kennzahlen systematisch dargestellt. Der Bericht stellt Transparenz her, informiert über die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und benennt die aktuellen Herausforderungen. Damit bietet er eine Diskussionsgrundlage für die Weiterentwicklung des Bildungssystems. Auch pädagogisch Tätige wie Lehrende oder das Leitungspersonal können die Informationen praktisch nutzen, sie erhalten eine umfassende Übersicht über den Weiterbildungsbereich und können die eigene Tätigkeit, Zielgruppen und Teilnehmende, Einrichtungs- und Angebotsprofile sowie Entwicklungsstrategien verorten. Zudem gibt der Bericht Hinweise darauf, wo Wissenschaft und Politik zentrale Herausforderungen für den Bildungsbereich sehen. Das kann Orientierung für die Entwicklung von Programmen und Angeboten geben sowie mittel- und langfristig auch die Akquise und Drittmitteleinwerbung unterstützen.

Fokussierung der Berichterstattung – wie begründet sich die Auswahl der Inhalte?

Der Bericht ist eine Gesamtschau des Bildungssystems. Dabei können nicht immer alle Entwicklungen betrachtet werden – etwa die, die nur auf regionaler Ebene auftreten. Neben langfristigen Trends wie der Digitalisierung werden kurz- bis mittelfristige Einflüsse wie die Corona-Pandemie für die Leistungsfähigkeit des Weiterbildungssystems eingeordnet. Zudem werden dauerhafte Herausforderungen an die Weiterbildung aufgegriffen; beispielhafte Themen sind soziale Ungleichheiten oder regionale Disparitäten. In jedem Bericht wird ein Themenschwerpunkt (2020: Bildung in einer digitalisierten Welt; 2022: Bildungspersonal) behandelt. Inhaltliche Einschränkungen können sich ergeben, wenn zu bestimmten Themen keine oder keine aktuellen Daten zur Verfügung stehen. So ist derzeit beispielsweise nur wenig über die Weiterbildungsbeteiligung von Personen im Rentenalter oder von Hochaltrigen bekannt. In solchen Fällen wird auf Datenlücken hingewiesen.

Langfristige Trends und aktuelle Herausforderungen – wie aktuell ist der Bericht?

Nicht zu allen aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen kann der nationale Bildungsbericht mit seinem zweijährigen Zyklus statistische Kennzahlen bereitstellen. Dies liegt daran, dass amtliche Statistiken und Daten sozialwissenschaftlicher Erhebungen erst mit Zeitverzug für Auswertungen zu Verfügung stehen. So wurde der nationale Bildungsbericht 2020 wenige Monate nach Ausbruch der Corona-Pandemie veröffentlicht und konnte dadurch nur wenig empirisches Wissen anbieten. Aufgrund des Krieges in der Ukraine seit Februar 2022 sind u. a. massive gesellschaftliche und bildungspolitische Herausforderungen zu erwarten; das betrifft den Zugang zum Arbeitsmarkt für Geflüchtete, der durch Sprachkurse oder Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik unterstützt werden muss. Hierzu können im nationalen Bildungsbericht 2022 lediglich erste Annahmen formuliert werden.

Über die Autoren

Jonathan Kohl ist wissenschaftliche Mitarbeiter in der Abteilung System und Politik am Deutschen Institut für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V.

Prof. Dr. Josef Schrader ist Wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung – Leibniz-Zentrum für Lebenslanges Lernen e.V.

Der nationale Bildungsbericht „Bildung in Deutschland 2022“ ist vollständig und kostenlos abrufbar: www.bildungsbericht.de

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